Freitag, 13. September 2013

Gott und die Welt


Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. Da ward aus Abend und Morgen der sechste Tag. (Genesis 1.Mose, Vers 31)

Als ich Gott das erste Mal traf, saß er auf der Veranda von Joey´s am „Plaza de la Revolution“ in Havanna und nippte an einem Caipirinha. Er trug damals diesen albernen Strohhut, eine Sonnenbrille und ein ausgebleichtes schwarzes T-Shirt mit dem Aufdruck „What the hell“ und hellbraune Bermuda-Shorts. Er war sichtlich entspannt.

„Hallo“ sagte ich „Ich bin Thilo.“ Und er sagte „ich weiß“, was auch klar ist, denn schließlich war und ist er Gott. „Du kannst Jahwe zu mir sagen oder Allah oder Manitu oder Dieter, wie Du willst.“ bot er mir an und ich entschied mich, bei der doch eher unpersönlichen Anrede „Gott“ zu bleiben. „OK, aber das ist eigentlich nur mein Titel. Das ist, als würdest Du mich mit Doktor anreden, aber das ist auch in Ordnung für mich“ meinte er und fügte grinsend ein „mein Name ist Legion“ hinzu. Da mussten wir beide lachen.

Ich setzte mich hin, Gott wischte mit der Getränkekarte ein paar Pizzakrümel vom Tisch und bestellte zwei weitere Caipis. „Also Mann, was kann ich für Dich tun?“ fragte er. „Ich will es endlich wissen: warum gibt es so viel Elend auf der Welt, warum hat die eine Hälfte im Überfluss und andere müssen elend verhungern? Was hast Du Dir dabei gedacht?“

„Ich?“ Gott schien ehrlich verblüfft. „Ich hab damit gar nichts zu tun, ich habe Urlaub.“ „Bitte?“ „Ja klar, es ist der siebente Tag, ich ruhe mich aus, für den Scheiß seid Ihr ganz alleine verantwortlich, mein Job ist getan. Ich habe Euch eine echt klasse Erde gebastelt, mit allem Zipp und Zapp und Fjorden, Urwäldern und Wüsten, damit für jeden Urlaubstypen was dabei ist, aber weil ich Euch anscheinend zu wenig Hirn gegeben habe, macht Ihr nur Mist damit.“ „Moment“ entgegnete ich „Du kannst uns dafür nicht die Schuld gegeben. Du hast uns so gemacht, also beschwere Dich nicht.“ „Tu ich nicht, mir ist das doch wurscht, ich sitze hier in der Sonne bei diesem leckeren Getränk, das ich eine ziemlich clevere Eingebung fand und beantworte Deine Fragen. Du bist derjenige, der sich beschwert.“ 

Ach ja? „Ich dachte, Du liebst alle Menschen und dann sitzt Du hier in der Sonne und schaust zu, wie sie sich gegenseitig das Hirn einschlagen? Alleine schon deswegen, weil sie nicht sicher sind, ob sie Dich Allah oder Jahwe nennen sollen? Nennst Du das Liebe?“ „Jepp.“ Gott nippte an seinem Getränk. „Ich habe Euch einen Verstand gegeben, damit Ihr ihn gebraucht. Wenn mich also überhaupt ein Verschulden trifft, dann das, dass ich Euch keine Gebrauchsanweisung mit dazu in die Hand gedrückt habe. Aber im Grunde bin ich fertig. Mit Euch. Ein bisschen müsst Ihr auch selbst Verantwortung übernehmen.“

„Du könntest Dich vielleicht mal offenbaren, damit jeder weiß, was Sache ist und diese dämlichen Religionsstreitereien aufhören“ schlug ich vor. „Und an was denkst Du da? Soll ich wieder den brennenden Dornbusch machen? Mal wieder 90% von Euch in einer Sintflut ersäufen? Irgendeinen von Euch kreuzigen lassen? Oder ein Buch diktieren? Ihr glaubt doch sowieso nichts.“ sagte er und klang dabei etwas resigniert.

„Ja, bin ich Gott oder Du? Mache eine weltweite Fernsehansprache, reite auf einer Wolke oder brenne Deinen Namen jedem Menschen auf die Stirn, irgendetwas Spektakuläres. Einem Typen, der sich die Fjorde oder Mallorca ausgedacht hat, sollte da doch etwas einfallen, der sollte doch Phantasie genug haben, sich zu offenbaren!“

Gott beugte sich vor, klopfte mir auf die Schulter und zeigte auf das Blumenbeet auf dem Plaza. „Was siehst Du?“ fragte er. „Ein Beet, was denn sonst?“ „Siehst Du?“ Gott lächelte „In diesem Beet befinden sich 63 Tulpen, 168 Bienen, 20 Fliegen, 63 Spinnen verschiedener Gattung, 12 Wespen, 388 Blattläuse und ein paar Millionen Mikroorganismen, Bakterien und Viren. Und alle leben da, sterben da, existieren da und sind da. Das alles habe ich geschaffen. Jetzt sag Du mir: wie viele Offenbarungen braucht Ihr noch?“
Ich schluckte. Da hatte er recht, der Gott. Man musste nur hinsehen. 

Gott stand auf und klopfte mir noch einmal auf die Schulter. „Du zahlst übrigens“ sagte er und tippte grüßend mit dem Zeigefinger an die Hutkrempe. „Man sieht sich“ sagte er auch noch. Dann verschwand er im geschäftigen Trubel auf dem Plaza. Und ich hatte die Rechnung an der Backe. Wie immer, wenn ich mit Gott redete. Elender Schnorrer.

Montag, 9. September 2013

Nach Erlangen ist es nicht so weit

Ich sitze im Speisewagen irgendeines ICE "Eva Braun" zwischen Leipzig und Eisenach und bin so mehr oder weniger gezwungen, den Dialog des alten Ehepaares am Nachbartisch mitzuhören. Beide dürften sich aus irgendeiner kurzen Entfernung den 70 nähern, beide sind leicht überdurchschnittlich gut gekleidet und beide unterhalten sich, nachdem sie beide erst 10 Minuten wortlos aus dem Fenster gestarrt ha...ben, auf eine geradezu lorioteske Weise. Sie legt völlig spontan und komplett ohne Zusammenhang los, da ihr anscheinend ein entsetzlicher Gedanke durch den Kopf schießt:

Sie: Du hast für Obersdorf die richtigen Schuhe an.
Er: Was?
Sie: DU HAST DIE RICHTIGEN SCHUHE AN!
Er: Wofür?
Sie: Für Obersdorf.
Er: Ja.
Sie: Ich habe die falschen Schuhe.
Er: Wieso?
Sie: Ich kann in denen nicht laufen.
Er: Aber Du läufst doch.
Sie: Ja, aber nicht in Obersdorf.
Er: Nein, nicht in Obersdorf.
Danach ca. 60 Sekunden Schweigen. Beide sehen wieder aus dem Fenster. Dann, unvermittelt...
Sie: Erlangen ist auch schön.
Er: Ja, ist auch schön.
Sie: In Erlangen wohnt jetzt auch der Sohn von Frau Nitzschke.
Er: Ja.
Sie: Der studiert da.
Er: ...
Sie: Nach Erlangen könnten wir auch mal wieder.
Er: Ja. Erlangen.
Sie: Ich sach ja immer, von Erlangen aus isses gar nicht so weit.
Er: Wohin?
Sie: Von uns aus.
Er: Dann musst Du das anders sagen.
Sie: Was?
Er: Von uns aus isses gar nicht so weit nach Erlangen.
Sie: Sach ich doch.
Er: Nein. Tust Du nicht.
Pause
Er: Das Paket aus Harrington müsste bald da sein.
Sie: Das ist ein schweres Paket.
Er: Die bringen das.
Sie: Oder wir holen es ab.
Er: Das wird mit dem Roller nicht gehen. Dafür ist es zu schwer.
Sie: Dann müssen die das bringen.
Er: Ja, die Post muss das bringen.
Sie: ...oder die DHL.
Er: Die Post ist die DHL.
Sie: Oder mit UPS.
Er: Heute ist aber Feiertag.
Sie: Dann muss das Frau Nitzschke für uns annehmen.
Er: Du hörst nicht zu, heute ist Feiertag.
Sie: Wir sind ja auch nicht daheim.
Er: Die kommen heute nicht, frühestens morgen.
Sie: Da ist Frau Nitzschke nicht da.
Er: Wir können es auch abholen.
Sie: Aber nicht mit dem Roller.
Er: Nein, dafür isses zu schwer.

Wir erreichten danach Eisenach und die beiden Bekannten von Frau Nitzschke mussten aussteigen. Ich werde nie erfahren, wie es sich in Obersdorf in Damenschuhen läuft, warum es nach Erlangen nicht so weit ist und ob das schwere Paket aus Harrington je ankam. Aber ich bedanke mich bei meinen unbekannten mitreißenden Mitreisenden für den tiefen Einblick in die menschliche Psyche nach 40 Jahren Ehe, wenn man sich einfach auch nur noch mit einfachen Sätzen versteht. Und, an Frau Nitzschke, sollten Sie das je lesen: ziehen Sie weg. Weit weg. Also nicht nach Erlangen! Nach Erlangen ist es nicht so weit.