In jeder Beziehung kommt der Moment, in dem sich der
geliebte Partner, dieser Adonis und weltgewandte James Bond für die
Mittelschicht und die Brigitte Bardot für Fernsehillustriertenleser plötzlich
als profaner Mensch mit Stärken – aber auch mit Schwächen outet.
Ich hatte mein Coming-out als Mensch anlässlich einer Reise,
bei der ich ein kleines, sympathisches und intimes Hotel für Romantik zu Zweit
gebucht hatte. Und hätte ich gewusst, wie verdammt intim dieses Hotel ist, ich
hätte… Aber der Reihe nach:
Das „Love London Live“ liegt in einer kleinen,
verschwiegenen Seitengasse des wahnsinnig romantischen und sympathischen
Picadilly Circus, wo sich die Liebenden Londons treffen, um von englischen
Taxis gemeinsam überfahren zu werden. Bei diesem sympathischen Boutiquehotel
treffen burleske Einrichtung auf den Versuch, auf 10m² ein Doppelbett, eine
Toilette, eine Dusche, einen Schrank und ein Waschbecken unterzubringen.
Gefangene in Guantanamo haben mehr Platz für sich, aber man will ja auch die
Stadt sehen und sich nicht im Hotelzimmer aufhalten, nicht wahr?
Der eigentliche Punkt ist jedoch, dass den Hotelbetreibern ihr
kleines Laborrattenexperiment dadurch gelungen ist, dass sie die Wände von Toilette
und Dusche derart dünn gehalten haben, dass japanische Innenwände dagegen wie
Betonarmierungen wirken.
Und so sieht das aus: Da liegt die schönste aller Frauen
neben mir erschöpft im Bett und die Burger des kombinierten Mittag- und
Abendessens klopfen ungeduldig beim Pförtner meines Magens an und bitten um
Auslass. Nun wäre es ja nicht so, dass man selbst nicht schon öfter in
Anwesenheit des Partners mal eben Dinge getan hätte, die man als Mensch nun
einmal tun muss, wenn man nicht platzen will, aber da war stets ein
atombombensicheres, vor allem aber schalldichtes Refugium in der Nähe, in das
man sich gutgelaunt mit Handy und Toilettenpapier hätte zurückziehen können, um
so zu tun, als wasche man sich nur schnell die Hände oder pudere sich das Näschen…
Nicht so im „Love London Live“. Hier liege ich ja quasi mit
den Füssen sowieso schon in der Toilettenschüssel, wenn ich mich nur fest genug
ausstrecke, was ich tunlichst vermeide. Der einzige Lichtblick im Sackdunklen
ist, dass Melanie einen Schlaf wie eine Tote hat und in der Regel selbst
Luftschutzsirenen und das durchdringende „Kikeriki“ ihres verdammten
Android-Handys in ihre Träume einbauen kann, wenn sie nur schlafen kann. Und so
liege ich im Dunklen und forsche nach der Verhaltensweise meines Mageninhaltes.
Zuerst bahnt sich ein kleiner, frecher und dankenswerter
Weise laut- und geruchsloser Wind seinen Weg nach draußen, ein üblicherweise
sicheres Zeichen, dass da noch mehr ist, was ´raus will. Und zwar bald. Ich
presse die Pobacken zusammen wie ein Pferdejockey und flüchte vorsichtig und
möglichst leise in den Luftschutzbunker aus Pappmaché, der nur eine Armlänge
entfernt ist.
Es reicht gerade noch, die Schlafanzughose nach unten zu
ziehen. Was jetzt folgt, ist ein wunderbares Crescendo Beethovens 9ter
Symphonie, gespielt auf der Arschposaune mit einer überraschenden Klangfülle,
wie sie wohl nur die Baked Beans, die zu dem Höllenburger serviert wurden,
hervorbringen können. Und mitten in den Teil mit dem „Babababaaaa“ höre ich
eine Stimme rufen: „Thilo? Ist alles in Ordnung?“
Ich schätze, dass es Gottes Art von Humor war, mich hier zur
Ordnung zu rufen. Die korrekte Antwort wäre jetzt „Nein, nichts ist in Ordnung,
weil ich Dich soeben aus dem Schlaf gefurzt habe und noch lange nicht am Ende
mit dieser kleinen Symphonie für eine Arschgeige bin und mich die Luft in
meinem Bauch wie ein Heißluftballon an der Klodecke schweben lässt. Die Thermik
hier im Raum ist wunderbar. Tu mir den Gefallen und verlasse das Gebäude. Nach
Calais. Oder Norwegen. Auf jeden Fall weit weg! Wir sehen uns eines Tages
wieder, wenn Du diesen Schock überwunden hast. Allerdings werde ich da schon 10
Jahre tot sein und wie so was riecht, erfährst Du, wenn ich die Türe aufmache,
um ´rauszukommen…“
Stattdessen entscheide ich mich aber für ein
halb-fröhliches, halb gestöhntes „ja, alles prima, alles schick, der, ehm,
Toilettendeckel, also die Brille, das Dings da, das, ehm, hehe, knarzt sehr…“
„Bei mir nicht“ antwortet meine Lady Godiva im Halbschlaf,
dann ist ein kurzes „wumpf“ zu hören, als ein Körper wieder auf die Matratze
fällt, während sich der letzte Wind of Change mit einem leisen Legato
verabschiedet.
Ich sitze noch eine Weile vor mich hin, ob noch etwas kommt
oder ich mich gefahrlos aus der Kammer des Schreckens entfernen kann. Immerhin
will ich mir noch die Hände waschen und muss dabei im Stockdunklen über ein
Doppelbett, zwei Koffer und eine leere Rotweinflasche steigen, was schon noch
einmal ein veritabler Parcours sein wird, als sich ein neues Geräusch durch die
Papierwand hören lässt.
Es ist ein tiefes „Rrrrrrrr“, wie es wohl nur eine Gruppe
von Holzfällern mit schweren Kettensägen im brasilianischen Regenwald
hervorbringt, wen mal wieder „ein Fußballfeld gerodet wird“. Nur sind wir nicht
im brasilianischen Regenwald und nachts um Drei sind auch in London keine
Holzfäller unterwegs. Zwischendurch ist immer mal ein kleines Grunzen zu hören,
das ich auch von mir kenne, wenn mir irgendwelche Körpersäfte im Rachen hängen…
Eingeschlafen. Tief. Ich schleiche über meine Hindernisbahn,
wasche mir leise die Hände und nehme Melanie, die das Geräusch einer
Panzerparade auf dem Champs-Elysee imitiert, in den Arm.
Am Ende des Tages und am Beginn des neuen Tages sind wir
alle nur Mensch. Leider und Gottseidank.