Seit mein Arzt vor vier Monaten seine neue Praxis bezogen
hat, habe ich ihn locker ebenso oft besucht. Und seit dieser Zeit, seit dem
ersten Besuch, steht dieses kleine Brettchen im Aufzug. Es ist ein ganz normales
kleines Brettchen, anscheinend das Stück eines Laminats mit vorne
Kiefer-Struktur und hinten der braunen Panel-Seite. Es ist etwa 30cm lang und
10cm breit und geschätzt 5mm dick. Und es steht in der linken unteren Ecke. Wie
bestellt und nicht abgeholt. Sonst macht es nix. Es steht da. Einfach so.
Es dürfte mittlerweile Tausende Male vom Keller bis in den
vierten Stock gefahren sein. Und bei wenigstens 50% der Fahrten einen Mitfahrer
gehabt haben. Der sich dachte „Oh, ein Brettchen, das steht da.“ Mir hat das
Brettchen ja auch schon wenigsten vier Mal aufgelauert. Also fahre ich mit dem
Brettchen nach oben, rede mit meinem Arzt, dann steige ich wieder in den
Aufzug, in dem ruhigen Gewissen, dass Weltwirtschaftslage hin und
Flüchtlingsnichtkrise her, das Brettchen da auf mich warten wird. Ruhig,
entspannt, gelassen.
Ich frage mich jedes Mal, wer das Brettchen da hin gestellt
hat, warum er dies getan hat und warum er es dann vergessen hat. Wollte er das
Brettchen nicht mehr? War es ihm lästig geworden? Aber warum hat er es dann
nicht weggeworfen? Oder verschenkt? Viele Menschen möchten sicher ein
Brettchen. Leider eben nicht die, die zu meinem Arzt oder der Sparkasse oder in
das Massagestudio oder zu Herrn Klöbner ganz oben wollen. Ich persönlich brauche kein Brettchen. Erst
recht nicht mit Kiefer-Struktur. Mir ist das egal. Dem Brettchen auch. Es steht
einfach nur da rum.
Vielleicht hat ein Handwerker aus dem Innenausbaugewerbe das
Brettchen auch einfach vergessen. Er war dann fertig mit dem Verlegen des Laminats
und hat das Brettchen dann gesucht, weil es doch das Brettchen war, das unter
die Heizung sollte. Dann hat er in der Wohnung alles auf Links gedreht und das
Brettchen natürlich nicht gefunden, weil es ja im Aufzug geblieben ist und dann
hat er sich gedacht „na gut, ist eh nur unter der Heizung, das lass ich einfach
weg.“ Und dann ist er in den Aufzug gestiegen und hat das Brettchen gesehen und
sich gedacht „da isses ja, aber ich habe schon Feierabend, ich geh jetzt nicht zurück und
verlege das noch. Mach ich morgen!“, und dann ist er leider an einem
Herzinfarkt gestorben und das Brettchen blieb einsam und allein zurück.
Oder umgekehrt: er hat altes Laminat herausgerissen und ist
mit dem Müll nach unten gefahren, weil er aber schon die Hände mit anderen Brettern
voll hatte, konnte er das Brettchen nicht greifen und hat es einfach da stehen
gelassen, weil er es nicht gemerkt hat, beim Rausgehen. Oder er war gerade aus
dem Aufzug draußen, hat das Brettchen gesehen und wollte es greifen, als sich
plötzlich die Türe geschlossen hat und der Aufzug nach oben fuhr. Und er dachte
sich „oh Fuck, da war noch ein Brettchen drin und jetzt isses weg. Naja, trag
ich erst die anderen Bretter zum Müll oder in meinen Kombi und komm dann zurück
und hole es, wenn der Aufzug wieder unten ist.“, und hat es dann vergessen. Das
wäre auch möglich.
Oder eine Mutter ist mit ihrem Kind zum Arzt und das Kind
fand das Brettchen im Hof und hat es aufgehoben und wollte es zum Arzt mitnehmen,
damit es was zum Spielen hat und die Mutter hat das Brettchen erst im Aufzug
bemerkt und gesagt „Noah-Methusalem, lass das dreckige Brettchen da im Aufzug.
Das nimmst Du nicht mit. Wer weiß, wie viele Hunde schon da drauf gepinkelt
haben!“ Könnte auch sein. So eine SUV-Helikoptermutter, die weiß, dass Hunde
auf Brettchen pinkeln, wenn sie sie sehen. Aber eigentlich sieht das Brettchen
ziemlich sauber und gar nicht angepisst aus.
Ich meine, ich könnte das Brettchen ja mitnehmen und in die
Restmülltonne vorne bei den Parkplätzen werfen. Könnte ich machen. Ich habe da
sowieso mein Auto geparkt und könnte das Brettchen quasi im Vorbeigehen
einwerfen. Das wäre wirklich gar kein Problem. Es ist auch nicht sonderlich
schwer, so, wie es aussieht. Kein Aufwand. Brettchen anheben und in den Müll
werfen. Dann wäre es weg. Für immer. Wahrscheinlich.
Andererseits gehört das Brettchen vielleicht doch jemandem
und der sucht es dann. Oder es hat irgendeine geheime Funktion in diesem
Aufzug, die ich nicht kenne. Beispielsweise, dass sich Spackos wie ich Gedanken
über das Brettchen machen und darüber vergessen, dass der Arzt soeben den
doppelten Satz abgerechnet hat, weil ich Privatpatient bin. Und wenn ich das
Brettchen mitnehme, dann denken die anderen Patienten und ich plötzlich an die
Abrechnung und nicht mehr an das Brettchen und sind dann sauer auf meinen Dottore
und wechseln den Arzt und der muss dann wieder umziehen, weil er Pleite geht. In
eine kleinere Praxis. Mit PVC statt Laminat.
Außerdem bin ich auch nicht der Hausmeister. Das ist gar
nicht mein Job, Brettchen aus Aufzügen zu entfernen und in den Müll zu tragen.
Was käme als Nächstes? Soll ich dann auch noch das Treppenhaus fegen, obwohl
ich doch Aufzug fahre? Den Hof vielleicht auch, weil ich gerade dabei bin? Die
Blumen schneiden, die Fassade streichen und die kaputte LED-Leuchte im ersten
OG auswechseln? Ich bin doch nicht der Flocki des Hausmeisters. Ich werde dafür
nicht bezahlt. Er schon, die faule Sau. Es ist sein Brett. Nicht meines. Mich
geht das einen Scheißdreck an, das verdammte Brett. Stört mich ja auch nicht.
Ist nicht mein Aufzug. It´s his fucking business. Und wenn er es in vier
Monaten nicht ein einziges verdammtes Mal schafft, in den Aufzug zu sehen und
ein verficktes Brett wegzuschmeißen, dann gehört er gefeuert. Achtkantig. Wenn
jeder seine Brettchen im Aufzug stehenließe, dann sähe es in Deutschland aber
bald GANZ anders aus!
Außerdem ist noch gar nicht klar, ob nicht doch ein Hund auf
das Brettchen gepisst hat und ich habe auch wenig Lust, das herauszufinden.
Ich verlasse den Aufzug. Werfe noch einen Blick auf das
Brettchen. Es wird auch morgen noch da sein. Und Übermorgen. Und nächste Woche
und nächstes Jahr. Es wird bis zum Ende der Zeit oder dem Abriss des Hauses
Aufzug fahren. Hoch, runter, hoch runter. Stoisch, klein, hölzern. Und wenn ich
längst vergessen und nur ein Häufchen Asche bin – das Brettchen wird mich
überleben. Im Aufzug oder unter der Heizung von Herrn Klöbner im vierten OG.
Wir werden uns wiedersehen. Das Brettchen und ich. Das,
finde ich, hat etwas Tröstliches.
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