Sonntag, 8. April 2018

Augen auf beim Siphon-Kauf


Neulich habe ich beim Wechseln der Mülltüte gemerkt, dass der Siphon unter der Spüle, an dem auch die Waschmaschine irgendwie hängt, also, dass der feucht ist. Da hing so ein Tropfen dran. Und es hatte sich im Unterschrank eine kleine Pfütze gebildet. Nichts Dramatisches. Aber so etwas muss man ja im Auge behalten, sonst hast Du irgendwann nachts einen Rohrbruch und das Wasser quillt unten aus der Küchentüre raus und hebt das Parkett. Oder so. Selbst, wenn es nur das Wasser aus dem Siphon ist. Man kann da nicht vorsichtig genug sein.

Jetzt gibt es ja Männer, die machen so etwas selbst. Rohrzange aus der Garage pflücken und Bastelspaß haben. Zu diesen Männern gehöre ich nicht. Ich kann lediglich einen kaputten Siphon als solchen identifizieren, das war es dann. Also suchte ich mir via Google einen Klempner in der Nähe heraus, rief an und bat seine Frau, ob Ihr Mann sich das mal anzusehen könne und wir vereinbarten einen Termin. Und was nach dem Tausch eines kaputten Siphons aussah, entwickelte sich zu einer Grundsatzdiskussion.

Herr Krapulski ist ziemlich pünktlich und ich freue mich und biete ihm einen Kaffee an, den er dankend annimmt. Dann will er wissen, wo der Siphon ist und ich gebe ihm brav die gewünschte Auskunft und räume den Mülleimer und die Putzmittel aus dem Unterschrank. Herr Kapulski setzt seinen Werkzeugkasten ab, meint, das sei „keine große Sache“ und taucht unter die Spüle. Und ich sage den Satz: „Schön, dass es so schnell geklappt hat. Ihre Frau war wirklich total nett am Telefon“.
Das Schnauben unter der Spüle kommt zu einem Ende und Herr Krapulski steckt den Kopf hinter der Unterschrank-Tür hervor. „Das ist nicht meine Frau“, sagt er.  „Das ist meine Schwester“, sagt er. „Ich bin nämlich schwul“, sagt er auch. Und ich sage: „Oh“. Was soll ich auch sonst sagen? „Ja „OH“!“, giftet er zurück: „Warum glauben die Leute immer, Schwule gäbe es nur beim Fernsehen?“

Hm.

Das ist eine ziemlich gute Frage, auf die ich ad hoc keine Antwort weiß. Aber Herr Krapulski weiß sie. „Ihr Leute seid alle voller Vorurteile. Ihr denkt immer nur an die Tunten und Tucken in ihren Fummeln. Dass ein ganz normaler Mensch auch schwul sein kann, das kommt Euch gar nicht in den Sinn!“ Ich gebe innerlich zu, dass mir wirklich noch nie in den Sinn gekommen ist, dass es auch schwule Heizung-, Gas- Wasser-Installateure geben könnte. Schlicht, weil es mir egal ist. Ich habe einen kaputten Siphon, den ich gerne repariert hätte.  „Stimmt“, sage ich. „Daran habe ich wirklich noch nie gedacht!“ „Sehen Sie““, gibt er leicht triumphierend zurück „…und deswegen ist es so wichtig, dass wir für unsere Rechte auf die Straße gehen.“ Das mag ja sein, aber mir wäre es lieber, er ginge statt auf die Straße wieder unter die Spüle und repariert den schwulen Siphon.

„Ja, das ist wichtig““, echoe ich zurück. „Es tut mir leid.“, hänge ich hintendran. Herr Krapulski ist großzügig: „Das muss es nicht, ich erlebe das jeden Tag.“ Ja, das ist tragisch, dass er das jeden Tag erlebt. Dass sich niemand dafür interessiert, ob er einen schwulen Heizung-, Gas- Wasser-Installateur vor sich hat. „Es geht nur darum, dass wir mehr Normalität im Umgang miteinander bekommen!“, doziert Herr Krapulski weiter. „Ja, Normalität!“, gebe ich wieder zurück und würde mich sehr gerne jetzt verziehen, damit er unbelästigt den Siphon reparieren kann, aber Herr Krapulski ist jetzt in seinem Element. „Wissen Sie“, erzählt er weiter, „wir haben jetzt zwar die „Ehe für alle“, aber bis zur absoluten Gleichberechtigung ist es noch ein weiter Weg. Deswegen oute ich mich da auch gerne, weil mir das einfach wichtig ist!“

Das mag ja sein, aber mir persönlich wäre jetzt eigentlich mein Siphon wichtiger als seine Gleichberechtigung und ich habe ihn ja auch nicht ungleichberechtigt behandelt. Ich habe bei Google auch nicht „heterosexuelle Klempner in meiner Umgebung“ eingegeben, zumal ich dann auch die nächsten Wochen mit sehr seltsamen algorithmischen Angeboten hätte rechnen müssen und ich habe aus Gleichberechtigungsgründen auch nicht „homosexuelle Klempner“ oder „Trans-Klempner“ eingegeben. Ich habe wirklich nur jemanden gesucht, der einen Siphon reparieren kann. Meinetwegen könnte das auch eine hermaphrodite Transgender-Lesbe mit Hang zu klassischer Literatur und italienischen Rotweinen sein, die da unter der Spüle liegt, mir geht es nur um den Siphon. Ich bin da völlig vorurteilsfrei.

„Ich bin da völlig vorurteilsfrei.“, sage ich deshalb. „Wenn dem so wäre, dann hätten sie meine Schwester nicht für meine Frau gehalten!“, hält er mir den schmutzigen Vorurteilsspiegel vor die Nase und mir platzt der Hemdkragen: „Hören Sie, ich hatte eine Frau am Telefon, die sich mit „Krapulski“ gemeldet hat, was mich nicht wunderte, weil ich bei der Firma Krapulski angerufen habe, also ging ich davon aus, dass es sich bei Ihnen um einen Familienbetrieb handelt und die Wahrscheinlichkeit, dass sich in unserer zu 92,6% heterosexuellen Gesellschaft (http://www.queer.de/detail.php?article_id=27318)  eine Ehefrau statt einer Schwester meldet, war demnach ziemlich hoch. Also machen Sie kein Drama draus und reparieren Sie bitte den Siphon!“
Herr Krapulski schüttelt den Kopf. „Das geht nicht“, sagt er, „mir fehlt ein Ersatzteil. Ich habe nicht den passenden Bogen.“ „Sehen Sie?“, rufe ich aufgeregt, „so geht es mir! Ich bestelle einen Installateur und dann fehlt ihm der passende Bogen und dass ich auch schwul sein könnte, auf die Idee kommt er auch nicht!“ Herr Krapulski ist etwas verunsichert. „Sind Sie denn schwul?“, fragt er. „Nein!“ gebe ich zurück, „aber ich könnte es sein! Daran haben Sie nämlich jetzt auch nicht gedacht! Selber Vorurteile haben, aber sie anderen unterstellen wollen!“ Herr Krapulski schüttelt den Kopf. „Wollen Sie nun den Siphon repariert haben oder nicht?“, fragt er. „Will ich! Deswegen sind Sie ja da. Und ich zahle pro Stunde am Siphon, nicht pro Stunde an der Gesellschaft!“, gebe ich zurück.

„Dann gehe ich jetzt los und hole einen Bogen.“, sagt er.

Und dann ging er. Und ich habe ihn nie wieder gesehen. Und auch nie eine Rechnung von ihm erhalten. Den Siphon hat später ein heterosexueller Bekannter repariert, ganz ohne gesellschaftliche Diskussion. Er hat mir dabei von seiner Ehe erzählt. Das war auch in Ordnung. Und hat mich ebenso wenig interessiert. Aber mein Siphon funktioniert jetzt wieder.