Freitag, 29. Oktober 2010

Mal kurz

Da sitzt man da, ahnt nichts Böses, beschäftigt sich mit Dingen, die einem den Lebensunterhalt sichern oder für Kontemplation sorgen, vielleicht guckt man auch einfach „Desperate Housewives“. Warum? Weil man es kann.

Und dann schaut die Dame des Herzens um die Ecke und sagt: „Könntest Du bitte mal kurz den Müll rausbringen?“

Ja, könnte ich. Wenn ich wollte. Müll rausbringen geht fix. Müll aus dem Mülleimer nehmen, zügig Küche, Wohnzimmer und Flur durchqueren, Türe auf, in den Hof, zur Mülltonne, Mülltonne aufmachen, Müll reinschmeissen, Mülltonne zumachen, vom Hof wieder in den Flur („mach doch die Türe zu, die Katze rennt sonst raus“ brüllt der Älteste), Türe schließen, schnellen Schrittes zurück ins Wohnzimmer und auf die Couch. Müll draußen, Frau glücklich, weiter Fernsehen gucken.

Soviel zur Theorie.

In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Frage „könntest Du mal kurz“ ein veritabler Haken ist, an dem sich die Freizeit des Angesprochenen sehr fix und hinterfotzig aufknüpfen lässt.

Denn wenn ich nun den Müll heraustrüge, dann wäre dies ein untrügliches Zeichen dafür, dass ich nichts Besseres vorhätte, nichts Besseres zu tun hätte, also quasi „Freizeit“ hätte und Freizeit ist böse.

Kaum säße ich nämlich wieder im Sessel, käme der nächste Kopf um die Ecke, um mir einen ganz kurzen Auftrag zu verpassen. Beispielsweise könnte ich „mal kurz“ die Matheaufgaben meines Ältesten kontrollieren, der sich im Moment mit Exponenzialrechnungen beschäftigt und von denen ich ungefähr so viel Ahnung wie von Atomphysik habe, in die ich mich also erst einmal wieder hineinlesen müsste, anschließend dürfte ich „mal kurz“ das Wohnzimmer saugen und dann „mal kurz“ bei der Mittleren die Englischvokabeln abfragen, allerdings spreche ich Englisch fast so gut wie Deutsch und ich weiß, dass mir neben der Galle auch meine sämtlichen anderen Innereien hochkämen, hörte ich die Mittlere ihr Schulenglisch radebrechen und stottern.

Hätte ich nun den Müll herausgetragen, die Exponenzialrechnung quasi neu erfunden, das Wohnzimmer gesaugt, die Mittlere Englisch abgehört, dann wären mal eben zwei Stunden weg. Zwei Stunden Lebenszeit, in denen ich genauso gut ein Mittel gegen Krebs in alkoholischer Form hätte erfinden oder eine Weltreligion hätte gründen können. Mein Genie quasi vergeudet hätte.

Und dann wäre ja noch nicht Schluss. Es gibt so viele Dinge, die ich „ganz kurz“ mal erledigen könnte. Hof fegen zum Beispiel. Oder die Glühbirne in der Gästetoilette austauschen. Oder das Trampolin im Hof abbauen. Oder den Keller aufräumen. Oderoderoderoderoder.

Eine ganze, endlos lange und flexible Schlange von kleinen Tätigkeiten, die mich endlose Zeit und Nerven kosten würde, denn zuerst müsste ich den Hofbesen aus dem Gerümpel im Keller suchen und die Sicherung im Gästeklo herausdrehen und eine Glühbirne und eine Trittleiter suchen (was meinen Sie, warum ich den Keller aufräumen muss?) undundund.

Das dauert. Das zieht sich.

Und immer dann, wenn ich dächte, ich hätte es jetzt hinter mir, dann wüchsen wie weiland Prometheus´ Leber oder Sysiphus´ Stein die Liste wie von selbst weiter an. „Kurze Aufgaben“ sind die Hydra der Tätigkeiten. Erledigst Du einen Job, dann wachsen zwei neue Jobs nach. Denn „wenn mal schon mal dabei ist…“

Die Dame meines Herzens fragt nach: „Hast Du denn Müll schon rausgebracht?“

Nein. Hab ich nicht. Ich erfinde gerade ein Haarwuchsmittel oder schreibe einen nobelpreisverdächtigen Artikel und schaue dabei „Desperate Housewives“ und hoffe, dass es diesmal im Mittagsprogramm eine pornographische Szene gibt. Ich kann den Müll nicht ´rausbringen. Nicht jetzt, nicht später, nie. Es ist Müll. Er wird nicht flüchten. Ich kann das später noch tun. Wenn ich das möchte.

Im Augenwinkel sehe ich meine Frau mit der Mülltüte unter dem Arm an mir vorbeilaufen. „Was machst Du?“ frage ich und ernte einen „wonach seht es denn aus?“-Blick, den ich so hasse.

„Ich hätte den Müll schon ´raussgebracht“ antworte ich trotzig. Sie sagt „bis Du ihn ´rausgebracht hättest, wäre er entweder wieder lebendig gewesen oder Gegenstand einer archäologischen Sensation in 500 Jahren geworden.“

Stimmt. Vielleicht. Und außerdem wäre ich bis heute in die tiefe Nacht beschäftigt. Aber jetzt ist der Müll ja draussen.

Ich sage „was machst Du jetzt“ und sie sagt „ich bin fertig und sehe nun fern“ und ich frage, ob Sie mir dann aus der Küche mal kurz ein Bier mitbringen kann.
Sie sagt nein und ich könne ihr mal kurz den Buckel herunterrutschen.

Ich seh schon… wenn man nicht ALLES selbst macht!

2 Kommentare:

  1. Ich lese immer gern mit und freu mich bereits auf den Auftritt im Sailaufer Gewölbekeller. Toller Text. Vielleicht könntest du hier im Blog auch noch ein Bisschen Werbung für deinen Auftritt machen?

    www.kultur-im-gewoelbekeller.de

    Viele Grüße
    Simon

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  2. Ach, ich weiss nicht... So Werbung in eigener Sache ist immer auch so ein bisschen peinlich. Ich als eher introvertierter Typ schäme mich dann immer so...

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