Dienstag, 15. November 2011

Nett sein

Ich bin der festen Überzeugung – und ich schließe hier von mir auf andere Menschen – dass der Mensch an sich nett sein möchte. Kein Mensch will ein Arschloch sein und von seinen Mitmenschen gehasst werden. Kein Mensch möchte durch die Gegend gehen und beschimpft werden oder in der Vier-Buchstaben-Zeitung als Depp des Landes ausgezeichnet werden.

Sicher, manchmal kommen Menschen in die Bredouille und können ihre Schulden für den geleasten Porsche oder den Flat-Screen nicht zurückzahlen oder müssen für ihre Bank staatliche Hilfen beantragen, so etwas kommt schon mal vor, aber vom Grundsatz her macht das ja niemand gerne und mit Absicht. Ich will daran glauben.

Aber es wird einem manchmal auch schwer gemacht.

Neulich beispielsweise, da stehe ich in der Bäckerei in unserer Fußgängerzone, bestelle einen Kaffee, ein Hörnchen und die oben genannte Postille und da fragt mich die Bäckereifachverkäuferin, ob ich noch etwas Süßes probieren möchte.

Nun stehe ich sexuellen Avancen jetzt nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber und weil sie noch diesseits der 40 zu sein scheint, sage ich leichtsinnigerweise: „ja“.

Zu meiner Enttäuschung reicht sie mir einen kleinen Teller mit irgendeinem dubiosen Backwerk, in dem Zahnstocher stecken, über den Tresen und blickt mich erwartungsvoll an. Ich nehme mir ein Teilchen und beiße in etwas, das verdächtig nach Schaumstoff mit Ammoniaküberzug schmeckt. Wirklich wirklich übel. Schauderhaft. Ekelig.

„Und?“ fragt sie erwartungsvoll und, wie ich meine, auch ein wenig stolz.

Tja nun. Am liebsten würde ich ihr das Zeug vor die Bäckereifachverkäuferinnenfüsse kotzen, aber dann ist sie beleidigt und hasst mich und vielleicht verklagt sie mich wegen Mobbings oder macht sich aus Kummer sogar weg. Möchte ich nicht.

Lieber lächle ich und sage „prima, schmeckt gut!“. Doof und nett, wie ich bin.

Sie lächelt zurück. „Das freut mich, das hat unser Lehrmädchen heute gebacken. Das sind ihre ersten Amerikaner.“ Ach Du scheiße… Jetzt trage ich auf meinen breiten Schultern auch noch die Verantwortung für die berufliche Reputation der Bäckerazubine… Ganz toll!

„Soll ich Ihnen welche einpacken?“ fragt sie tückisch.

Nein, eigentlich mal lieber nicht, ich hasse das Zeug, es ist ein Backwerk aus der siebten Vorhölle und den chemischen Errungenschaften der Hermann-Göring-Werke, aber ich stehe jetzt zwischen Baum und Borke, zwischen „Sie, ich habe Sie angelogen, das Zeug ist widerlich und ein berechtigter Grund für eine amerikanische Kriegserklärung“ und meinem Seelenfrieden.

„Diät“ lächle ich und klopfe auf meinen Bauch. „Ist kaum Fett drin“ tröstet sie mich.

„Ich habe es eilig“ entgegne ich. „Ich kann es einpacken, während Sie Ihren Kaffee trinken“ bietet sie mir an.

Ich habe nicht genug Geld dabei“ sage ich und klopfe mir aufs Portemonnaie. „Ach, kein Problem, ich runde gerne den Betrag auf Ihren 20,- € Schein, mit dem Sie gerade bezahlen wollten, auf“ bietet sie mir netterweise an.

Also gut, wenn sie keine eindeutigen Nicht-Verkaufssignale versteht, dann muss ich wohl deutlicher werden: „Na gut, dann packen Sie mir Fünf Stück ein“ höre ich mich gegen meinen Willen sagen und mein Magen macht vor Ekel einen kleinen Salto rückwärts.

Sie freut sich, guckt mich verschwörerisch an und sagt „da gebe ich Ihnen noch extra einen dazu“ und verpackt sechs Schaumstoffteilchen mit Ammoniakaroma, zieht den Betrag von meinem Wechselgeld ab und reicht mir stolz die Tüte über den Tresen. „Guten Appetit“ wünscht sie mir und wahrscheinlich sehe ich sie gerade an, wie jemand guckt, dessen Hund soeben überfahren wurde, denn sie widmet sich dem nächsten Kunden, der gerade hereingekommen ist.

Ich stelle mich an eines der Stehtischchen da und beobachte, wie mein Nachfolger „etwas Süßes“ probiert und angeekelt das Gesicht verzieht. „Schmeckt widerlich“ sagt er ganz direkt.

Und verlässt den Laden mit drei Krapfen und einem Stangenweißbrot, der unhöfliche Drecksack, der sich soeben 3,50 € für Schaumstoff und ein gutes Gewissen gespart hat.

Was bin ich so froh, dass ich so nett bin. Und so ein Idiot. Ich darf gar nicht drüber nachdenken…

P.S. Ich habe die Amerikaner meiner Mutter zum Kaffee mitgebracht, die ist über 70 und irgendwann muss ja auch mal Schluss sein. Sie hat mir später erzählt, dass das Zeug widerlich war und sie es weggeschmissen hat. Auch unhöflich und unnett.

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