Montag, 11. Juni 2012

Tag 4: Freundschaftsspiele


Die ersten Bestellungen meiner Frau vom gestrigen Tage trafen heute ein. Ein Zwiebelschneider, der auch Beton schneidet, ein Messerset, mit dem man auch Sofakissen aufschlitzen kann und ein Kirschkernkissen, auf dem man wunderbar schläft, aber nur, wenn man tot ist. Ich bin gespannt, was noch kommt.

Große Aufregung in Deutschland. Mehmet „Fußball ist ein Mannschaftssport“ Scholl hat Mario „was wollt ihr, ich hab doch getroffen“ Gomezziemlich übel beleidigt, weil er ihn vor dem Wundliegen beschützen wollte. Das nehmen dem Mehmet ziemlich viele Medien krumm, vor allem diejenigen, die „Supermario“ in den Titel setzen, wenn der zufällig in einen Ball fliegt. Merke: success counts, egal wie.

Aber kommen wir zum Knallerspiel des heutigen Abends: der Geheimfavorit Frankreich gegen den Geheimfavoriten England. Die Franzosen sind ja dafür bekannt, keine Lust mehr zu haben, wenns schief geht, während die Engländer dieses Jahr ausnahmsweise mal ihre Mannschaft nicht über den grünen Rasenklee loben, weil ihre Deppenwalze Roooooooney gesperrt ist. Wir dürfen also ein Knaller-Spiel erwarten.

Eigentlich.

Aber, sagen wir es so: wenn Fußball die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln ist, dann sehen wir hier zwei Verbündete miteinander und nicht gegeneinander spielen. So eine Art „Entente Cordiale“, einen Nichtangriffspakt, ein herzliches Einvernehmen, ja, eine Freundschaft gar. Anders ausgedrückt: ich habe noch nie ein Fußballspiel gesehen, das im Gehen geführt wurde.

Sicher, die Engländer machen versehentlich in der 30sten Minute das 1:0, aber beiden Mannschaften ist dieser Zufallstreffer derart peinlich, dass sie den Franzosen, die deswegen viel geweint haben, nur 9 Minuten später das 1:1 gönnen. Und nachdem es nicht gegen Deutschland geht, sind beide Mannschaften recht zufrieden damit. Der Einzige, der die Ruhe gelegentlich stört, ist Ribery, den wohl niemand informiert hat, dass heute „Dabeisein“ alles ist und weitere peinliche Tore unerwünscht sind.

Nur so ist es zu erklären, dass der kleine hässliche Franzose, der in einer feindlichen deutschen Mannschaft als Legionär dient, keine Anspielstationen findet, die am Ende vielleicht noch das Bild eines unfähigen Torwarts im englischen Tor offenlegen könnten, denn was der englische Keeper zu bieten hat, wäre bereits in der dritten deutschen Liga ein Entlassungsgrund – und zwar für jeden Feldspieler, so er im Tor Vertretung machen müsste. Der italienische Schiedsrichter gerät nur dann in haarige Situationen, wenn er ein französisch-englisches Liebespärchen auf dem Rasen unterbrechen oder irgendwelche wilden Knutschereien unterbinden muss. Ansonsten tut sich nicht viel. Beide Mannschaften schlendern im warmen ukrainischen Sommer über den Platz und betreiben Fußball als das, was er ist: die schönste Nebensache der Welt. Zumal bei einer EM.

In der Pause wird Kathrin Müller-Dingenskirchen hinter der Kamera Olli Kahn fragen, ob er das Spiel auch so endgeil wie sie findet und Olli wird „zweimal nein“ antworten.

Nach schier endlosen 90 Minuten jedenfalls geht die französisch-englische Freundschaft zuerst in die Kabine und dann zusammen ins Kino, wo sie Händchen halten und sich mental auf ein Treffen mit den bösen Deutschen vorbereiten. Auf die Frage meiner Frau „guckst Du Fußball?“ habe ich jedenfalls wahrheitsgemäß mit „nein, einen Liebesfilm“ geantwortet.

Dementsprechend gruselt es mich auch vor dem zweiten Knallerhammerspiel des Abends: der Geheimtipp Ukraine gegen den noch viel geheimeren Geheimtipp Schweden. Der Bär trifft den Elch, der Mongole trifft den Wikinger, gelbe Trikots treffen auf gelbe Trikots.

Wer nun erwartet hat, dass das ein langweiliges und hilfloses Spiel wird, der wurde nicht enttäuscht. Vielleicht liegt es daran, dass man die Fans, die alle einheitlich in Gelb gekleidet sind, nicht auseinanderhalten kann, vielleicht sind die Ukraianer und die Schwedianer von den gelben Schärpen in den blauen Trikots der alten Schweden irritiert, es tut sich nichts. In den ersten 5 Minuten tasten sich die beiden Langweiler noch ab, in den anderen 40 Minuten tun sie das auch.

Es ist ja nicht so, dass das Kanonenfutter da unten ohne Herz spielen würde, nur leider ist es anscheinend das Herz von Synchronschwimmern und nicht von Fußballern. Ich gebe gerne zu, dass ich ein wenig eingenickt bin und mich nur die Feststellung von Olli „ich kahn nicht mehr“, „die Mannschaften würden sich abtasten“ aus meinem erotischen Traum geweckt hat.

Allerdings haben wohl die Trainer beider Mannschaften ihren Gelbsüchtigen in der Pause erklärt, dass, wenn sie es schon nicht gegen so einen drittklassigen Gegner wie den derzeitigen packen, es gegen England und Frankreich so ein ganz kleines bisschen noch viel schwieriger werden könnte, hier bei der EM weiterzukommen.

In jedem Fall regt sich nach der Halbzeit so etwas wie intelligentes Leben auf dem Platz, denn zuerst dürfen die Schweden ein Tor schießen, danach die Ukrainier zwei davon. Nach 90 Minuten und einer Nachspielzeit, die den sich abwechselnd auf dem Boden windenden Memmen gewidmet ist, endet eine sehr – nennen wir sie nett: „durchwachsene“ - Partie mit einem nicht unverdienten aber auch nicht verdienten Sieg der Ukraine über die entsetzlich bemitleidenswert spielenden Schweden und ich frage mich, warum die UEFA darauf besteht, eine EM ausgerechnet in Ländern auszurichten, deren Nationalmannschaften an besseren Tagen Pausenfüller und Sparringspartner für ernsthafte Teams sind. Was kommt als Übernächstes? EM in der Türkei oder in Albanien oder San Marino?

Insgesamt war der heutige Spieltag so spannend wie eine Kerner-Show. Schalten Sie also auch morgen wieder ein, wenn Mehmet Scholl solche Sätze sagt wie „das Spiel wird anhand der Tore entschieden“.

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