Montag, 27. Mai 2013

Patsch

Neulich war ich an einem spannenden und unbekannten Ort: meinem Keller. Dieser Gruft meines bisherigen Lebens, in dem all die Dinge aufbewahrt werden, die ich vielleicht noch einmal brauchen könnte, man weiß ja nie, was noch kommt. Beispielsweise die Zahnarztrechnung von 1995. Der damalige Zahnarzt ist zwar schon tot, aber wenn ich in 5 Jahren neue Zähne bräuchte und der Zahnarzt fragen würde, wie alt meine bisherigen Kronen wären, dann könnte ich sagen, „he“. „He“ könnte ich sagen, „hier ist meine Rechnung von 1995, da sehen Sie genau, was gemacht wurde – und was das gekostet hat. Rechnen Sie Ihren Preis einfach mit der Inflationsrate hoch“.

Oder vielleicht kämen die Erben des Zahnarztes und würden behaupten, dass ich die Rechnung von 1995 noch nicht bezahlt hätte, dann könnte ich ihnen meine Rechnung mit meinem Vermerk „bezahlt am 23.7.1995“ unter die Nase halten und wäre fein raus.

Dann habe ich in einem Kästchen noch etwas Spannendes gefunden: einen Stempel mit der Aufschrift „Duplikat“. Ich habe seit Jahrzehnten kein „Duplikat“ mehr abgestempelt. Immer nur auf die Kopie „Kopie“ mit Word geschrieben. Spätestens seit Windows95. Dies bedeutet, dass dieses Kleinod der Buchdruckkunst, dieses gutenbergsche Erbstück aus der Renaissance, dieses wahrhaft archaische Instrument der Verfielfältigungsbeglaubigung seit wenigstens knapp 20 Jahren bei mir im Keller liegt.
Was waren das noch für Zeiten, als sich schlechtgelaunte Postbeamte am schlechtgelaunten Postbeamtenbriefeinlieferungsschalter damit beschäftigten, auf die liebevoll von hinten geleckte Marke mit einem satten Knall einen Postzeichenentwertungsstempelabdruck zu schlagen, quasi als akustisches Zeichen, dass mein Brief mit der Bitte um den väterlichen Scheck nun in der Verfügungsgewalt der Deutschen Bundespost war und seiner Beförderung durch hochkompetente Postbeförderungsbeamte harrte.

Aus und vorbei. Eine unbarmherzige Computerisierung hat dem guten alten, leicht übergewichtigen Postbeamten unbarmherzig den Garaus gemacht und ihn durch die Gemüseverkäuferin im Supermarkt oder, in den Hauptpostämtern, durch den guten alten, leicht übergewichtigen Customer-Client-Relationship-Manager ersetzt, der die Bitte nach einer Rolle selbstklebender Briefmarken mit der Frage kontert, ob ich denn schon die wunderbare Finanzerlebniswelt der Postbank kenne und diesbezüglich dringend eine Beratung wünsche. Was ich aber stets nicht wünsche. Ich wollte nur Briefmarken, sonst nichts.
Ich stecke den Stempel in die Tasche. Gutenbergs Erfindung war für die Welt und ihre Geschichte zu wertvoll, um in meinem Keller ein karges Dasein bis zu seiner Verrottung zu führen.

Und tatsächlich: im nächsten Kundengespräch drücke ich meinen „Duplikat“-Stempel mit dem berühmten satten „Patsch“ auf die Kundenkopie, die ich soeben mit Word ausgedruckt habe und ernte ein erstauntes „das nenne ich aber mal ein antiquiertes Geräusch“.
Mein Gegenüber hat verstanden. Der satte Knall des Stempels signalisiert „Basta. Der Vorgang ist abgeschlossen“.

Seitdem stemple ich wieder. Stempeln macht Spaß, wirkt irgendwie offiziell und lässt keine Wünsche offen. Keine rote Linie unter einem falsch geschriebenen Wort, keine Veränderungen des Schriftgrades möglich, keine Fonts, keinen Irrtum, kein garnichts. Mein Stempel und ich. Immer das gleiche Wort, egal, wie oft ich ihn irgendwo draufhaue, immer in schöner Regelmäßigkeit. Und ich schwöre: so lange es noch Stempelkissen gibt, werde ich allem wenn irgendwie möglich meinen Stempel aufdrücken.
Allerdings beschäftigt mich doch immer noch eine Frage, die mir auch das Internet nicht beantworten konnte: wie bekommt man Stempelfarbe aus dem Hemd, wenn ich mir versehentlich den Ellbogen aufs Stempelkissen gelegt habe?

1 Kommentar:

  1. Voraussichtlich mit Zitronensaft und Speisesalz ;)

    Link: http://www.tippscout.de/stempel-fleck-stoff-haut_tipp_475.html

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