Dienstag, 23. Dezember 2014

Nachbars Rasen

Na? Schonmal drüber geguckt? Über den Zaun? Sieht gut aus, nicht wahr? Saftiges grünes Gras, in voller Kraft, wie es da aus dem Boden geschossen ist, wie sich Halme und Blätter im Wind wiegen und auffächern. Muss ein klasse fruchtbarer Boden sein, da.

Du schaust Dir Deine eigene Wiese an und denkst Dir „Ja, im Grunde ist die schon OK. Hat halt schon ein paar Jährchen gestanden, zwischendrin wächst enorm viel Klee und kleine, langweilige Gänseblümchen, vertikutiert müsste auch mal werden, viel zu viel Filz und viel zu viel Unkraut, Freiwillige vor zur Gartenarbeit“ und dann schaust Du wieder über den Zaun. Und nochmal. Und nochmal.

Du kannst es drehen und wenden, wie Die Du willst – das Gras drüben ist grüner. Es sieht so sauber aus. So neu. Du möchtest Dich einfach nur in dieses Gras fallen lassen, spüren, wie die Halme Dich kitzeln, über die Gräser streicheln und einfach mal fühlen, wie sich das anfühlt. Ob das anders ist.

Du zögerst. Schließlich ist es nicht Deine Wiese, die da gewachsen ist. Deine ist hier, auf Deiner Seite und bedarf dringend der Pflege. Auf die Du, blöderweise, irgendwie nicht so viel Lust hast. Weil es mit Arbeit und Mühe verbunden ist. Weil Du Zeit dafür lassen musst. Und weil Du die Wiese ja kennst. Du spielst kurz mit dem Gedanken, alles mit Beton zuzuschütten, um einen prima Parkplatz zu haben und damit Du künftig nur noch kehren musst, um „klar Schiff“ zu haben.

Alternativ könntest Du natürlich den kompletten Garten umgraben und statt des damals schnittigen „Loretta-Sportrasens“ („strapazierfähig, unempfindlich und für Kinder geeignet, der Rasen Ihres Vertrauens“) jetzt den geilen Rollrasen auslegen, aber wozu die Mühe? Du müsstest nur über den Zaun springen, es wirklich wollen, einfach über den Zaun und die Wiese flacken. Komm, wenn Du Dich nicht saublöd anstellst, dann bekommt es auch der Nachbar nicht mit. Und Du fühlst, wie die Halme Dich rufen: „probier uns aus, probier uns aus...“.

Dein Nachbar hat Dir mal erzählt, dass er guten Mutterboden („war ziemlich teuer, aber wer einen gepflegten Rasen will, der muss halt auch investieren“) drunter gelegt hat, während Du den dämlichen Sportrasen einfach nur auf die Erde geschmissen hast, die da war, im Vertrauen darauf, dass auch diese Samen Wurzeln schlagen. Hat ja auch funktioniert. Eine Zeit lang. Irgendwann hat Nachbars Rasen aber Deine Wiese überrundet, die Investition scheint sich gelohnt zu haben.

Da Dein Unkraut, dort drüben die Wiese.

Und dann, eines Tages, als die Verlockung zu groß wird, springst Du mit Anlauf über die Zaunbretter drüber, hurra.

Das hättest Du allerdings lieber sein gelassen, Du Idiot. Hättest Du nämlich besser hingesehen, dann wäre Dir aufgefallen, dass der Rasen nur aus Plastik ist. Eine Chimäre. Ein Traumbild. Ein Trugschluss. Das Zeug ist toxisch und Du hast Brandblasen von der Reibungshitze. Die Gräser sind nicht mehr weich, sondern Du liegst auf stacheligen Plastikhalmen. Dein Nachbar hat Dich reingelegt. In seine Wiese. Im wahrsten Sinne des Wortes. Blöd.

Du würdest natürlich gerne jetzt wieder zurück auf Deine Seite des Zaunes. Aber der ist plötzlich zu hoch geworden. No way back. Das hast Du beim Springen nicht bedacht, nicht wahr? Du dachtest, Du könntest zwischen hier und da einfach wechseln, wie in einer Drehtür. Nur wäre es intelligent gewesen, vorher eine einzubauen. Hast Du im Eifer des Gefechts vergessen. Schade jetzt.

Jetzt hockst Du wie der Depp auf dem falschen Rasen und mit etwas Glück erwischt Dich wenigstens der Nachbar nicht.

Du siehst in die andere Richtung. Da ist auch eine Wiese. Sieht optisch nicht so schön wie der Plastikrasen aus, wirkt aber wenigstens natürlich. Ist Dir vorher nie aufgefallen, Du warst zu sehr mit Deiner Nachbarwiese beschäftigt.

Nochmal springen? Nochmal probieren? Alles ist besser als der stachelige Plastikrasen. Kann nur besser sein. Du nimmst einen weiteren Anlauf, einen weiteren Sprung und stehst bis zu den Knöcheln in Hundescheiße. Herzlichen Glückwunsch. Du drehst Dich um und siehe da – wie durch Zauberhand wurde aus Deinem ungepflegten Stück Rasen mit dem vielen Klee und den langweiligen Gänseblümchen plötzlich die schönste Blumenwiese der Welt. Anscheinend lag es nur an Dir und der fehlenden Distanz, Du Depp.

Hättest Du mal vorher genau hingesehen. Und vielleicht doch einfach nur mal vertikutiert. 

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