Das war so: ich
hatte mich mit Ellen zum Kino verabredet, so in ein paar Tagen, da wir beide
den Film sehen wollten und es mit an tödlicher Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit ein mega-super-schöner Abend werden würde. Ich organisiere
Kinokarten, Sie das Restaurant, das war
der Deal.
Nun muss man
dazu sagen, dass Ellen und ich uns seit ein paar Wochen Abends oder auch unter
Tage gelegentlich SMS schreiben, einfach, um zu lesen, wie es dem anderen geht
und zu beschreiben, wie es einem selbst geht. Wie das eben gute Freunde so
machen.
Jetzt habe ich
seit 15 Stunden nichts von ihr gehört oder gesehen oder gelesen.
Im Grunde
könnte mir das ja egal sein, weil ich a) meinen Termin ja in der Tasche habe
und b) die Frau erwachsen ist und ja gefällig selbst darüber entscheiden kann,
wann sie wen wie und auf welche Art kontaktiert und c) sonstiges.
Es wäre halt
nett, ich würde mal ein Lebenszeichen kriegen. Irgendeines.
Wir Menschen
sind es gewohnt, ungewohnte Situationen zu reflektieren oder uns mit neuen
Situationen eingehender zu beschäftigen.
Sicher könnte
ich Ellen anrufen oder ansimsen. Könnte ich machen. Aber das ginge gegen meinen
Stolz und mein Ego, da ich niemandem hinterher laufe und wenn sie nicht
schreibt, dann könnte ja durchaus ein triftiger Grund dafür vorliegen.
Das fängt bei
simplen Gründen wie „das Handy ist mir ins Klo gefallen“ an. Dann bräuchte sie locker 24 Stunden, um das Teil zu trocknen
und müsste solange auf dem technischen Stand von 1933 leben, da sie ja kein
Festnetz hat, weil man das ja nicht braucht, wenn man ein Handy hat. Hat sie jedenfalls
gedacht, die Nuss.
Andererseits
hat sie Kinder im technikfähigen Alter, es könnte also durchaus sein, dass sie
da auf ein Ersatzgerät zugreifen und mir ein kurzes „Mein Handy ist mir ins Klo
gefallen“ simsen könnte, dann wüsste ich Bescheid und bräuchte mir keine
Gedanken zu machen.
Vielleicht hat
sie aber auch gar keine Lust mehr, mich am Samstag zu treffen, was mich
verblüffen würde, da ich, entgegen meiner üblichen Gewohnheiten, DIESMAL gar
nichts Böses gemacht oder gesagt oder geschrieben habe. Dann wäre es aber
zumindest nett, sie sagte ab, dann könnte ich mit Maike oder Sarah oder Klaus
oder gar nicht gehen und die Karten an zwei Obdachlose vor dem Kino verschenken,
damit die es auch mal auf drei Stunden warm haben. Das wäre dann zumindest eine
Sache der Höflichkeit. Also ihrer.
Griffe ich aber
zum Hörer, dann sähe das so aus, als hätte ich es nötig oder würde klammern und
dann stünde ich wie ein Depp da und obwohl das bei mir eigentlich schon
Gewohnheit ist, mich zum Löffel zu machen, wäre das doch auch irgendwie lästig.
Zumindest im vorliegenden Fall. Ich möchte ja auch keine Freundin oder
Bekannte, die mir in Permaschleife auf den Senkel geht. Und Ellen sicher auch
nicht. Zumal wir ja nur Freunde sind, die sich nicht dauernd belästigen und von
denen jeder sein eigenes Leben hat.
Vielleicht ist
das andererseits ja auch eine Art Psycho-Test, um herauszufinden, ob mir genug
an ihr liegt, um anzurufen oder ihr wenig genug an mir liegt, um eben nicht
anzurufen. Wäre ja möglich und solche Scheiße steht ja gelegentlich in
Frauenzeitschriften unter der Überschrift „Wie wichtig ist Ihren Mitmenschen
Ihre Freundschaft?“ Dann würde ich jenen subtilen Test durch einen Anruf
bestehen oder bei Nichtanruf durchfallen.
Schwierig.
Es könnte aber
natürlich auch sein, dass sie sich schwer verletzt hat und jetzt blutend und
alleine mit meinetwegen aufgeschnittenen Pulsadern im Badezimmer liegt, weil
der Versuch einer Handwurzelrasur aufgrund eines in die Wanne gefallenen Föhns ein
eher unerfolgreiches Ende nahm. Allerdings wäre dann auch mein Anruf sinnlos,
da sich das Handy, wenn es nicht in die Wanne oder auf den Fliesenboden
gefallen wäre, jetzt auch entladen hätte. Gut, dann müsste ich aber sowieso bis
Samstag warten, wenn beim Abholen gelb-schwarze „Tatort-nicht betreten“-Bänder
an der Türe hingen, dann wäre mein Abend versaut, aber ich wüsste Bescheid. Und
würde mir zwei Obdachlose suchen.
Möglich wäre
allerdings ebenfalls, dass sie eine weitere, viel bessere Einladung für Samstag
bekommen hat, beispielsweise einen Presseempfang im Kanzleramt oder eine
Schiffstaufe und sich nun nicht traut, mir abzusagen. Könnte ja sein, man weiß
es nicht, man weiß es nicht.
Oder sie wurde
von einer Horde brandschatzender Mongolen auf der Durchreise überfallen und
ausgeraubt und kam so ihres Handys verlustig. Oder sie hat kurz nach dem
letzten Telefonat eine schwere Nierenkolik gezogen und liegt nun auf der
Intensivstation im Krankenhaus, während
das Drecks-Handy sich daheim entlädt. Ist mir jedenfalls schon passiert. Oder
eine Dachlawine ist fast auf sie gefallen und beim Sprung zur Seite fiel das dämliche
Handy, mit dem sie mir eben schreiben wollte, in den Gulli und liegt da noch. Oder
ein zwei Euro großer Meteorit aus der Andromeda-Galaxis, der seit ein paar
Millionen Jahren unterwegs ist, hat ausgerechnet sie auf dem Rewe-Parkplatz
erwischt und dabei fiel ihr das Handy in die Seitentasche der Fahrertür, als
sie gerade die Einkäufe auslud und findet nun, nachdem sie vom Arzt eine
künstliche Schädelplatte aufgeschraubt bekam, das Handy nicht mehr. Oderoderoder…
Unendliche Möglichkeiten in unendlicher Kombination, UMUK.
Oder sie will
schlicht nicht mit mir reden. Kann auch sein. Wäre ja möglich. So sieht es
jedenfalls so von außen aus.
Es gibt jetzt
also zwei Möglichkeiten: ich rufe an – oder nicht. Ich werfe eine Münze, Kopf
für Anrufen, Zahl für ihre Nummer wählen, das ist fair.
Ellen geht dran und klingt so gar nicht nach blutendem Notfall und erklärt, dass sie Besuch bekommen hat. Der ist über Nacht geblieben. Und
wird das für die nächsten 7 Monate auch weiterhin tun. Da konnte sie sich nicht
melden.
Wenigstens
liegt sie nicht im Krankenhaus. Wir sehen uns Samstag. Sie hat reserviert. Ich
muss nicht alles verstehen.
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