Montag, 2. Juni 2014

Geschichten aus der Gruft

Also das war so: eine sehr gute Bekannte drückte mir eine mysteriöse Einladung in die Hand, auf der stand „Mitbring-Party – jeder bringt jemanden mit, der nicht sein Partner ist“. Und „Beginn 22.00 Uhr im Laser-Tag-Zentrum“ stand drauf. Und „Eintritt 20,- €“. Wobei nicht klar war, ob das der Eintritt pro Person oder für beide zusammen oder der Beitrag für die Pflegeversicherung jedes Besuchers sein sollte.

Nachdem ich meiner Bekannten meiner Ansicht nach noch einen Gefallen schuldete, fragte ich an, was da passieren würde und sie meinte, ich solle mich überraschen lassen und Getränke und Essen wären frei, was ich auf jeden Fall schonmal cool fand, weil, wenn´s nix ist, dann könnte ich ja wenigstens den Gegenwert des Eintritts essen. Also erklärte ich meiner Frau sehr wortreich, warum ich sie leider nicht mitnehmen könne, obwohl sie mir in einem Moment geradezu rührender Naivität anbot, mir einen Kartoffelsalat mitzugeben, was ich aber ablehnte, da ich für 20 Euronen nicht auch noch mein Essen mitbringe. So etwas mache ich aus prinzipiellen Erwägungen heraus nicht! Außerdem bestand vielleicht die Möglichkeit, dass ich zum Tanzen käme und das einzige Mal, dass ich meine Frau tanzen sah, war, als der Jüngste Nasenbluten auf der neuen Couch bekam.

Ich habe also meinen Geschäftspartner mitgenommen, was nur so halb gemogelt war, da ich heterosexuell bin, er also nicht wirklich mein Partner in einem sexuellen Sinn ist. Der ist ungefähr gleich alt wie ich, zusammen brachten wir jedenfalls ganz hart 100 Lenze auf den Kalender. Wir trafen uns mit den Autos außerhalb, er fuhr dann zu jenem sympathischen kleinen Shooting-Center, somit konnten wir beide schonmal keinen Alkohol trinken. Was ein Glück war.

Wir kamen gerade rechtzeitig, um beim Aufbau des Buffets zuzusehen, wir waren also, mit anderen Worten, zu früh. Ich habe mir so einen seltsamen Gummibärensaft a lá Red Bull geschnappt, weil das noch das Zeug mit dem wenigsten Zuckergehalt war, weil man da als Diabetiker aufpassen muss, und da dann der Dinge geharrt, von denen ich mich überraschen lassen sollte.

Ich vermute nun Folgendes, und von der Idee her war das ja auch nicht schlecht: Meine Bekannte wollte eine Art 80er-Jahre-Disco simulieren, mit guter alter 80er-Jahre-Musik. Das Problem dabei war aber, dass da auch nur 80er-Jahre-Leute eingeladen waren. Und die bewegen sich nun einmal heute zwischen 40 und scheintot. Auch, wenn der Versuch meiner Bekannten aller Ehren wert war – sie hat anscheinend das Phlegma ihrer Altersgenossen, um 10 Uhr Nachts noch einmal auf eine Party zu gehen, sauber unterschätzt, denn da schlafen die meisten Mittvierziger schon, wenn sie nicht mit Fernsehgucken beschäftigt sind. Aber nichtsdestotrotz tröpfelte mit der Zeit ein wackeres Häufchen Partywilliger ein. Hurra. Es nutzt ja alles nix, wir müssen drüber reden.

Lasst es mich so sagen: ich würde gerne in Würde altern. Ich fand die 80er klasse, ich habe da auch wenig ausgelassen und ich höre die Musik immer noch gerne. Im Auto. Vom Ipad. Aber jetzt ist es 2014 und ich habe Übergewicht und Falten und sehe weit weit weniger attraktiv aus als 1984, wenn gleich ich mutmaßlich an jenem Abend noch der Typ mit den meisten echten Haaren auf dem Kopf war. Oder, anders: die meisten Herren waren kahlrasiert, was aber nicht daher kam, dass sie Nazis waren, sondern dass Mann heute den berühmten „Haarkranz“ nicht mehr stehen lässt. Da standen nun also diese gealterten Deoroller mit so Angeberfreizeithemdchen von Jockey oder Boss um mich herum und ich wette, die, die von zu Hause keinen Kartoffelsalat mitbekommen hätten, hatten dafür aufgrund ihrer Promiskuität Geschlechtskrankheiten dabei. 

Und dann waren da die Görls. Ich bin sicher, die anwesenden Damen waren 1984 der Kracher. Das waren damals bestimmt echte Fackeln, Göttinnen, die ich mutmaßlich nie angesprochen hätte, Königinnen des Ballsaals, Herrscherinnen der Nacht, Ruler of the Dancefloor, Predigerinnen der Wollust bei 120 beats per minute, Frauen, für die ich mir den Arm hätte ausreißen lassen (was irgend so ein Arsch ´84 tatsächlich mal probiert hat), wenn sie nur einmal mit mir ausgegangen wären, geschweige denn in der Kiste gelandet wären. 

Aber 1984.

Jetzt ist 2014.

Das sind 30 Jahre mehr. Die machen was aus. Die verändern einen Menschen. Es nutzt nix. Das ist so. Und es ist nicht schön, was die Schwerkraft mit uns Menschen so anstellt. Das Leben hat uns alle gezeichnet. Manchmal mit Wachsmalkreide. Und ohne Radiergummi. Da geht es zur Sache. Auf der improvisierten Tanzfläche schafft es auch ein knallhart nach unten gedämmtes Licht nicht, bei „Thriller“ den Eindruck zu vermeiden, dass da tatsächlich Zombies tanzen. Das ist altes, welkes Fleisch, das da zittert. Ich weiß, das ist nicht nett und nicht fair, aber es ist leider die Wahrheit, Was will ich machen? Ich wusste schon, warum ich nicht tanzen gehen will. Das sieht idiotisch aus, wenn ein alter dicker Mann das Fett schwingt, wo früher seine Hüften waren. Ich weiß das. Ich sitze lieber an einem Tisch, trinke Kaffee und gebe schlaue Sprüche von mir. Das darf ich machen, mit 47. Aber nicht herumhopsen. Auch nicht zu Depeche Mode. Das sieht ungesund aus. Und was mit 30 noch lustig anzuschauen war, ist ab 45 nunmehr dramatisch zu nennen.

Meine Bekannte forderte mich zum Tanzen auf, was jetzt euphemistisch ausgedrückt war. Vielmehr jagte sie mich durch den Schuppen, gemeinsam mit noch zwei anderen IT-Girls aus der Reihe der Geschiedenen, bis sie mich auf der Tanzfläche einkreisten und ich halt nolens volens einen Discofox zum besten geben musste, weil das die einzigen Tanzsschritte sind, die ich noch kann. Dafür schwitzte ich mir die Klamotten durch und bekam Applaus und ein Groupie.

Mein Groupie hatte die 40 schon lange hinter sich gelassen und dürfte einen Promillepegel adäquat zu seinem Alter gehabt haben und war, so schien es mir, ziemlich riemig und konfrontierte mich schlagartig mit dem Thema Alterssexualität. Nun finde ich es ja grundsätzlich nett, trotz „dem ein- oder anderen Pfund zu viel“ noch angeschmachtet zu werden – aber doch nicht..., ich meine..., das war nicht „Jeff, ich heisse Jeff“, sondern „Oma machts“ und das hat mich, ich gebe das zu, sehr verstört. Auch mein deutlich sichtbarer Ehering scheint kein Signal gewesen zu sein oder wurde übersehen oder ignoriert oder was weiß ich, auf jeden Fall hat mir die alte Frau Angst gemacht. Ich wollte dann heim. Man bereut zwar am Lebensende immer das, was man nicht getan hat – aber es gibt Ausnahmen!

Mein Kollege war zwar auch noch am Flirten, aber er war dann doch so nett und hat Rücksicht genommen und mich zum Auto gefahren. Ob er danach zurück ist, werde ich nie erfahren – aber ich war froh, wieder in meiner vertrauten, sicheren, intellektuell einwandfreien und weiblich höchst attraktiven Umgebung zu sein. Wenngleich mit Kartoffelsalat. Aber „scharfe Frauen“ hatte ich in den 80ern genug und diejenigen, die mich damals nicht wollten – jetzt, wo Ihr alt seid, braucht Ihr auch nicht mehr kommen. Chance verpasst!

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