Samstag, 14. Juni 2014

Thilos WM-Tagebuch 2014 - Tag 2

Je näher das erste deutsche Spiel rückt, desto aufdringlicher werden die Fähnchenträger. Auf den 10 Kilometern ins Büro kamen mir heute schon zwei Fahrzeuge mit Staatsbeflaggung entgegen – ein Corsa mit Rückspiegelfäustlingen und ein Mercedes mit Deutschlandstander statt des Mercedes-Stern. Beides ältere Fahrzeuge mit älteren Fahrern, die die Dinger wahrscheinlich an der Tanke für einen Kasten Bitburger gratis dazubekommen haben.

Überhaupt kann ich derzeit nicht einmal eine öffentliche Toilette betreten, ohne dass man da für fünf Mal Kacken unter dem Motto „Wenn der Druck hinten zu groß wird“ ein „Fanpaket für Sanifair-Benutzer“ bekommt. Fehlt das Toilettenpapier in schwarz-rot-gold. Apropos Schiss:

Schieße Drei, bekomme Eins

Im ersten Spiel der heutigen langen Nacht treffen die Mexikaner, „die gelegentlich gewinnenden Adler“, die als Geheimfavorit gelten , auf die Mannschaft von Kamerun, die bei sich zu Hause auch „die unbezähmbaren Löwen“ genannt wird und als Geheimfavorit gehandelt wird. Allerdings gilt da auch bereits ein Weg von unter einem Kilometer zum nächsten Wasserhahn als Fortschritt. Den Dompteur für die Löwen darf ein deutscher Trainer geben

Es gibt Spiele, die finden bei Regen statt. Und es gibt Spiele, die finden bei Flutlicht statt. Und es gibt Spiele, die finden in einer Sintflut statt. Das heutige Match gehört in die letzte Kategorie. Die Afrikaner, mit einem derart stolzen Namen, geben vor Spielbeginn die Schwimmflügel ab, es schifft wie aus Kübeln und bereits vor dem Anstoß sind sämtliche Spieler nasser als ein Kinderwaschlappen am Samstag Abend.

Die Afrikaner möchten es eigentlich eher geruhsam angehen, Regen kennt man in Kamerun nicht und möchte das ein wenig genießen, aber die Mexikaner verweigern sich. Bereits in der ersten Viertelstunde zeigt die „Goal-Control“ ganz deutlich, dass die Mexikaner den Ball über die Torlinie gebracht haben. Aber weil es so regnet, sehen die Schiedsrichter das nicht und haben Wahnvorstellungen von Abseitspositionen, weil es kein „Abseitsposition-Control „ gibt.

Während die grinsenden Kameruner locker auf dem Platz herumtraben, bleiben die Mexikaner diszipliniert und die „Goal-Control“ zeigt in der 30sten Minute schon wieder, dass der Ball über die Torlinie der Kameruner gerollt ist und wahrscheinlich ist es eine Trotzreaktion der Schiedsrichtergewerkschaft gegen das neue System, dass sie auch diesen Treffer wegen eines Phantomabseits nicht anerkennen.

Die Mexikaner kommen dann nach der turnusmäßigen Viertelstunde zu einem Pfostenschuss, der aber auch nicht gezählt hätte weil wegen Abseits. Wenigstens gibt es diesmal keine „Goal-Control“-Animation.

„Die unbezähmbaren Löwen“ gehen daher fröhlich, die „gelegentlich gewinnenden Adler“ etwas frustriert in die Pause, in der sich unter den Spielern kleine Pfützchen bilden.

Nach der Pause scheinen einige Kameruner Löwen realisiert zu haben, dass es doch um etwas gehen könnte und geben sich ein wenig mehr Mühe, ihr Tor zu machen, aber nachdem das auf Anhieb nicht funktioniert, fallen die Löwen wieder in einen mehr gemächlichen Trott, in der Gewissheit, unbezähmbar zu sein.

Pünktlich nach einer weiteren Viertelstunde schießen die Mexikaner wieder ins Tor und zur bösen Überraschung der Kameruner wird der Treffer diesmal gegeben, was nicht zuletzt auch die Mexikaner überrascht, die auch nicht mehr damit gerechnet hätten.

Der Rest ist noch ein relativ ödes Hin- und Hergekicke und zum Schluss sind die Löwen handzahm. 1:0 für Mexiko

Die Königlichen sind tot, es leben die Königlichen

Im zweiten Spiel des Abens treffen der amtierende Weltmeister und Geheimfavorit Spanien auf den amtierenden Vizeweltmeister und Geheimfavoriten Niederlande. Man darf also einiges erwarten, zumal Spanien nahezu unverändert zu den letzten beiden Titelgewinnen aufläuft. Wir freuen uns auf wunderbares Tiki-Taka, Ole-Gesänge und La-Ola-Wellen auf den Rängen, auf begeisterndes Kurzpassspiel und eine hohe Niederlage der Niederländer. Aber es soll alles ganz anders kommen.

Am Anfang läuft es so, wie es soll und wie es sich gehört. Die Spanier stürmen lustlos vor sich hin, machen ihr Elfmetertor und sind mit sich zufrieden.
Leider sind sie so zufrieden, dass sie beginnen, die Holländer zu ignorieren, die sich nach 40 Minuten in Erinnerung bringen und ausgleichen.

In der Pause gibt es bei den Spaniern Häppchen, denn auch ein Unentschieden wäre in Ordnung und außerdem sind sie gesetzter Favorit wie schon seit 2008, da kann man schon beruhigt in die zweite Halbzeit gehen.

Aber nicht bei den Holländern. Die sinnen auf Rache und hätte es bei den Spaniern Geschichtsunterricht gegeben, dann hätte man dort ahnen können, dass es seit 500 Jahren ein holländisches Hobby ist, den Spaniern in den Arsch zu treten.

Und genau das passiert in der zweiten Halbzeit.

Während die Spanien immer noch deutlich entspannt mit ihrem Kurzpassspiel über den Platz traben, haben die Holländer anscheinend Blut gerochen und Robben macht in der 52sten Minute überraschend das 2:1. Es riecht nach einer ärgerlichen Niederlage, aber noch ist ja Zeit. Zeeeiiiit.

Endlich kommt Stimmung in die Bude. Die Holländer ihrerseits haben anscheinend beschlossen, sich für das Endspiel 2010 zu rächen und heben über lange Pässe über die Köpfe der kleinen Spanier hinweg ein ums andere Mal hohe und weite Pässe, denen die spanischen Stars konsterniert nachsehen.

Nach der nächsten Ecke springt ein Holländer den konsternierten spanischen Torwart Cassillas an und de Vrij locht zum 3:1 ein. Und was bisher nach einer ärgerlichen Niederlage aussah, sieht jetzt nach einer klaren Niederlage aus.

Spanisches Aufbäumen, irgendwie zappeln sich die Spanier noch einmal vor das Tor, schaffen es aber nur, aus dem Abseits einzuschieben, was berechtigterweise nicht gilt und während sich die spanische Armada wie weiland im Ärmelkanal verzweifelt zu sortieren versucht, vergreift sich Casillas nicht nur im Ton, sondern auch im Ball sortieren, wird von van Persie ausgespielt und kann nur noch traurig dabei zusehen, wie eigentlich sein Ball, wunderbar bestätigt von „Goal-Control“, hinter die Linie seines Tores kullert. Und was bisher nach einer klaren Niederlage aussah, mutiert zur hohen Niederlage.

Dieses Tor wird den Widerstand der Spanier endgültig zernieren. Es herrscht bei den Spaniern jetzt mehr nackte Angst und blanke Panik als unter Hühnern, in deren Stall ein Wolfsrudel eingefallen ist.

In einer wunderbaren Aktion schiebt in dieser Phase der sich anscheinend auf einem persönlichen Vergangenheitsbewältigungskreuzzug befindliche Robben den Ball zum 5:1 ein und was bisher nur eine hohe Niederlage war, wird zum Desaster.

Die Spanier sind komplett zerlegt, ein rauchender Trümmerhaufen, eine Schande für ihr Land, während feixende Holländer anscheinend immer noch nicht genug haben und weiter auf den bedauernswerten Cassillas einrennen und nur die Latte und ein gnädiger Schlusspfiff retten die Spanier davor, statt eines Desasters eine Apokalypse zu erleben.

Mit dem Schlusspfiff verlässt eine einstmals unschlagbare Weltklassemannschaft wie geprügelte Hunde mit eingeklemmtem Schwanz das Feld. Ein fast schon tragischer Abgang, wären da nicht Holländer, die den Sieg wie einen WM-Sieg feiern – der ihnen in dieser Form durchaus zuzutrauen ist.

Im Westen nichts Neues

Im letzten Spiel des Abends stehen sich der Geheimtipp Chile und der Geheimtipp Australien gegenüber, die schon gegen so grandiose Mannschaft wie West-Samoa, Osterinseln-Ost und Takatuka-Land Triumphe feiern konnte.

Ich hab mir nur die erste Halbzeit angesehen, da war dann schon klar, dass die durchaus sympathischen Aussis gegen Chile nicht wirklich etwas reißen werden. Die sind halt auch mit dabei, dürfen auch mal zur WM, waren sowieso nur mit kleinem Gepäck angereist und werden folgerichtig von den Chilenen mit 3:1 fertig gemacht und deren Fans ungefähr 99% des Publikums ausmachen – und zwar inklusive der Servicekräfte.

Die Aussis tun mir etwas leid, die treten aber trotzdem mit der Gewissheit ab, nicht so wie Spanien zerlegt worden zu sein, was ja auch ganz nett ist. Ich gehe ins Bett und bin gespannt, ob ich mein Grinsen morgen früh immer noch auf dem Gesicht habe.

Schalten Sie also auch morgen wieder ein, wenn es heißt „Die Mannschaffft ffffft bereided sisch högscht konschendrierd gäge Bortugall voor un ob där Manuäl fffft schbiele kann, desch enscheided sisch erscht in letschder fffft Minude“.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen