Sonntag, 15. Juni 2014

Thilos WM-Tagebuch - Tag 3

Mein Kaff verändert sich rapide. An den Fahnenmasten wachsen plötzlich deutsche Flaggen und ich habe das gefühl, Angela Merkl wird mein Nest bald besuchen. Die ganz Harten mit dem Monatsvorrat Bitburger erkennt man an wenigstens 4 Fähnchen auf dem SUV und wer keinen Fahnenmast hat, der hängt sich die Fahne eben aus dem Dachfenster.

Es ist nicht so, dass ich mich nicht auch auf das erste Spiel „unserer“ Mannschaft von Opportunisten freue, aber diesen klebrigen Patriotismus finde ich aufdringlicher als eine CSU-Veranstaltung in einem Bierzelt. Vielleicht schließe ich mich der örtlichen Dorfguerilla an und flagge mit holländischen Fähnchen...

Die langweiligste Mannschaft der Welt

Im ersten Match treffen der Geheimfavorit Uruguay auf den Geheimfavoriten Costa Rica, der so geheim ist, dass ihn nicht einmal die Costa-Ricanischen Spieler kennen.

Uruguay hat irgendwann, als Mussolini noch Staatschef von Italien war, mal die Weltmeisterschaft gewonnen und dann nochmal, als Adenauer Kanzler war, also so lange schon her, dass man sich fragt, warum die überhaupt Geheimtipp sind. Immerhin aber wurden sie gelegentlich mal Vierter und das scheint dann schon als Eintrittskarte in die Welt der „Großen“ zu reichen. Costa-Rica hat schon mal ein- oder zwei Spiele fast gewonnen. Das ist die Ausgangslage.

Am Anfang läuft alles erwartungsgemäß: Die „Urus“ machen nach einigem hin und her ihr Tor und stellen dann die Mitarbeit ein. Sie hängen in der eigenen Hälfte herum und versuchen, irgendwie die Zeit totzuschlagen. Ständig fliegt der Ball zum Gegenspieler, ins Aus, ins Publikum, halt irgendwohin, solange er nur nicht das eigene Tor trifft. So kann man auch über die Zeit kommen. Glauben die Urus. Insgesamt verbringen beide Mannschaften mehr Zeit neben als auf dem Platz. Ich bin zwischendurch eingeschlafen.

Costa-Rica hingegen verweigert sich dieser Anti-Haltung und kommt folgerichtig nach der Pause zuerst zum Ausgleich, dann zum Führungstreffer und während sich die Uruguayer erstaunt die Augen reiben, dass sie anscheinend verlieren, setzen die Kicker aus dem Zwergstaat in Mittelamerika noch einen drauf und gewinnen 3:1, was zumindest für Costa-Rica eine kleine Sensation ist. Aber Uruguay hat sich die Niederlage auch ehrlich verdient, die überschätzen Langweiler.

Rasenschach gegen Unfähigkeit

Die zweite Partie des Abends sieht den offiziellen Geheimtipp Italien gegen den anderen offiziellen Geheimtipp England. Beide Mannschaften sind schon öfte böse aufeinandergetroffen, die Italiener haben immer gewonnen – zumindest aber seit 1945.

Es beginnt wie erwartet. Zuerst einmal fallen die Italiener wie üblich reihenweise um, wenn ein Engländer an ihnen vorbeiläuft. Die wiederum geben sich ordentlich und redlich Mühe, das seit 2000 Jahren bekannte italienische „Carnaccio“ (was nichts anderes bedeutet, als hinten zu stehen, wahlweise den Gegner umzutreten oder sich selbst fallen zu lassen) zu knacken und erspielen sich ein- ums andere Mal gar nicht so schlechte Chancen, leiden aber immer noch unter der Krankheit, Tore nicht treffen zu können.

Die Italiener spielen derweil Rasenschach und kommen so in der 35sten Minute zum ersten Torschuss, der auch prompt reingeht und auch noch – surprise surprise – gegeben wird.

In dieser Situation sind die Blauen tatsächlich auch ein einziges Mal unorganisiert und prompt mogelt sich Sturridge nach vorne in den italienischen Schlafraum und gleicht aus.

Die Italiener bleiben sicher und entspannt. So etwas kann vorkommen. Auch in der Folge bieten sie das, was im Fachjargon „Leckerbissen für Taktikfans“ genannt wird, was bedeutet, dass sie sich den Ball zu schieben und behäbig bleiben. Keine Dribblings, keine Soli, simples und gefahrloses Querpassspiel und es bleibt ein italienisches Geheimnis, warum sich Balotelli, der Muskulöse, selbst so feiert, zumal er eigentlich völlig abgemeldet ist.

Und während sich die Italiener so entnervend aufreizend in Richtung englischen Strafraum bewegen, um sich dort fallen zu lassen, schläfern sie die Engländer ein, Balotelli kommt irgendwie zum Schuss und die Italiener führen wieder. Mit der zweiten Torchance.

Ich gebe zu – diese erschreckende Effizienz muss den Italienern erst einmal jemand nachmachen. Während die Engländer, die gegen Italien zum plötzlichen Sympathieträger (ähnlich wie Holland gegen Spanien) mutieren, eine Großchance nach der anderen vergeben, beschränken sich die Italiener auf kräftesparendes und an des Gegners Nerven zehrenden Ballgeschiebe und gelegentliches Rochieren.

Gut, gegen eine noch relativ junge und unerfahrene Mannschaft wie England genügt das heute und das Spiel endet zwar ungerecht, aber effizient mit 2:1 für Italien, die grinsend vom Platz gehen, während die Engländer das tun, was sie die letzten 90 Minuten getan haben: Wayne Rooney suchen.

War was?


Nachts um drei haben die Elfenbeiner die Japaner mit 2:1 besiegt, aber da habe ich geschlafen. Der Rest der Welt zu Recht auch.

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