Donnerstag, 25. Oktober 2012

Schnupfm

Ich hatte eine Erkältung abgegriffen. Nichts Ernstes, aber schon lästig. Schnupfen, Heiserkeit, Halsweh, Gliederschmerzen, das volle Programm aus der ratiopharm-Werbung. Und ich habe mich elend gefühlt. Und da habe ich beschlossen, zu Hause zu bleiben, es ging mir nicht gut. So allgemein.

Ich bin selbständig, ich darf das. Ohne Krankenschein. Zu Hause bleiben. Hab ich gedacht.

„Was ist mit Dir?“ hat meine Frau gefragt. „Ich bin krank“ habe ich geantwortet. „Nein, Du hast nur eine Erkältung“ hat sie gesagt.

Und das fand ich eine Unverschämtheit. „Nur“ eine Erkältung. Eine Erkältung ist eine schlimme Krankheit, damit soll man nicht spassen, ich bin bestimmt kein Weichei, aber man hat schon oft von Erkältungen gehört, die sich dann zu einer ausgewachsenen Lungenentzündung entwickelt haben und wenn man da nicht aufpasst, wacht man morgens auf und ist tot. Basierend auf diesem Gedankengang habe ich meiner Frau eröffnet, dass ich sterben könnte.

„An einer Erkältung!“ hat sie nüchtern festgestellt.

JA, VERDAMMT. An einer Erkältung kann man sterben, das geht ratz fatz, dann ist die Lunge dick, die Bronchien versagen, die Augen werden trüb, die ganzen inneren Organe schwellen an und platzen, die Viren oder Bazillen oder wie die Viecher heissen, fressen die ganzen Blutkörperchen auf und dann steht man da und stirbt einen elenden und siechen Tod, weil man eine Erkältung leichtsinnig übergangen hat.

„Nein“ hat meine Frau gesagt „Du hast nur einen Schnupfen, Du musst nicht zu Hause bleiben.“

Ach nein? Muss ich nicht? Sie geht mit meinem Leben und meiner schlimmen Erkrankung aber SEHR leichtfertig um, die Dame meines Herzens. Gut, es ist ja nicht sie, die wegen „nur“ eines Schnupfens dem grimmen Schnitter ins Auge schaut, was für uns beide, also den Schnitter und mich, sehr unangenehm ist. Aber ich gebe mich noch nicht geschlagen.

„Ein Schnupfen ist eine hochansteckende Krankheit, wusstest Du das?“ belehre ich sie. „Es handelt sich nämlich bei der Rhinitis um einen Infekt, der durch Rhinoviren (eine Abart der Picornaviren) und Adenoviren übertragen wird und wenn ich nicht aufpasse, dann entwickelt sich das zu einer Atrophie der Nasenschleimhäute und mündet in einer Ozeana, landläufig auch „Stinknase“ genannt, da die atrophische Schleimhaut Keimansiedlungen begünstigt, die einen unangenehmen, süßlich-faulen Geruch absondern. Da die Schleimdrüsen ebenfalls atrophieren, kann der Naseninnenraum nicht mehr ausreichend befeuchtet werden, was zu Trockenheit der Schleimhaut und damit zu starker, schwarzer bis gelb-grüner Borkenbildung führt. Folgen der zähen Verkrustungen können Kopf- und Nasenschmerzen, Nasenbluten sowie Vereiterungen sein. Auf Grund des Nasengeruchs erleide ich dann einen sozialen Ausschluss, weil niemand wegen meiner Nase noch etwas mit mir zu tun haben möchte und mein Betrieb geht pleite und Dein Malkurs hat sich erledigt, weil wir sparen müssen und ich kauf Dir einen Corsa oder eine Busfahrkarte. Und das ist noch nicht alles: Durch Anosmie (auf Grund der Atrophie von Geruchsnerven) und wegen der Gewöhnung der Geruchsnerven an den Eigengeruch nehme ich den Gestank selber nicht einmal wahr. Dies bedeutet, Du wirst diejenige sein, die leidet. Jedenfalls bis zur Scheidung oder meinem Tod.“

„Gute Güte, Du hast einen Schnupfen“ wiederholt sie. Und dann sagt sie: „sei nicht so eine Memme.“

Nun – anscheinend drücke ich mich für die Frau, von der ich bisher dachte, sie liebt mich, unverständlich aus. Ich probiere es anders:

„Hast Du verstanden, was ich gesagt habe? „HOCHANSTECKENDE KRANKHEIT“! Die krankheitsverursachenden Viren werden sowohl als Tröpfcheninfektion durch die Luft als auch direkt oder indirekt durch Kontakt mit Erkrankten oder über kontaminierte Gegenstände per Schmierinfektion (Kontaktinfektion) in deren Umgebung übertragen. Dies bedeutet faktisch, dass ich die komplette Stadt anstecken könnte. Das ganze kann als eine veritable Pandemie oder Epidemie enden. Menschen schleppen sich schniefend und rotzend auf die Strasse, wo sie erbärmlich in den Gossen ihr Leben aushauchen, gehüllt in einen Kokon aus Rotz und Tempotaschentüchern, unsere Stadt wird unter Quarantäne gestellt, die Bundeswehr sperrt mit Schützenpanzern und in Ganzkörperanzügen die Zufahrtsstrassen ab, in den Strassen patroulliert der Bundesgrenzschutz mit Gasmasken und räumt die Herstallstrasse von den ganzen Schnupfentoten frei. Nach 14 Tagen gehen die Impfstoffe aus und die Aktie der Firma „Tempo“ bricht durch die Börsendecke, während sie ganze Kontinente von den für die Atmosphäre wichtigen Regenwälder befreit, weil sie Nachschub für ihre Papiertaschentuchproduktion brauchen. In der Folge bricht das Weltklima zusammen und es kommt zu Hungersnöten und Unruhen weltweit. Was meinst Du, wenn die drauf kommen, wer das verursacht hat? Was dann hier los ist? Wenn ich Glück habe, dann komme ich nur mit einer Todesfatwa eines islamischen Geistlichen davon. Und das alles nur, weil Du gemeint hast, ich hätte ja „nur“ einen Schnupfen und könne arbeiten gehen. Vielen Dank für gar nichts. Aber ich werde dann mit dem Finger auf Dich zeigen und sagen: SIE WOLLTE, DASS ICH ARBEITEN GEHE. ICH HATTE SIE JA GEWARNT!“

„Du willst also heute zu Hause bleiben“ stellt sich sachlich fest.

ABER JA! DIE ZUKUNFT DES PLANETEN HÄNGT DAVON AB!

„Dann kannst DU ja mal die Ablage und die Buchführung machen, wenn Du daheim bist.“

Und da ist mir dann plötzlich eingefallen, dass mich die Welt eigentlich kreuzweise kann und ich bin arbeiten gegangen. Ich meine „hallo?“ Ist ja nur ein Schnupfen.